Der moderne Mensch war immer unterwegs, ob beruflich oder privat. Ich bin davon überzeugt, dass die Mobilität „post Covid“ wiederkommen wird, wenn auch in veränderter Form und vielleicht auch ohne die steilen und teilweise herausfordernden Wachstumskurven der letzten Jahre. Aber sind wir ehrlich: Das wäre völlig ok! Wir alle wissen, dass die Kapazitätsgrenzen des globalen Mobilitätssystems früher oder später – wobei letzteres wohl eher mit viel Optimismus zu tun hat – erreicht sein werden.
Was es grundsätzlich braucht, um die zwingend notwendige Mobilitätswende herbeizuführen, ist „Einfachheit“. Die sinnvolle, kombinierte bzw. multi- und intermodale Mobilität ist heute oftmals noch mit großen digitalen (Information, Buchung, Abrechnung etc.) und physischen (Umsteigepunkte, Auffindbarkeit etc.) Hürden verbunden, die notwendige „Inklusion“ aller bzw. im ersten Schritt zumindest der größten Bevölkerungsgruppen nicht gegeben. Dies führt dazu, dass die Chancen von „Mobility as a Service“ (MaaS) einerseits unterschätzt und andererseits nicht ausgenutzt werden.
MaaS: Die heutigen Herausforderungen lösen wir nur gemeinsam
Es ist beispielsweise schön zu sehen, dass die Generation Z (18 bis 34 Jahre) multimodal ist. Sie will alle Verkehrsmittel gleichermaßen nutzen und träumt nach wie vor vom eigenen Auto, vorausgesetzt, es ist umweltfreundlich (Marktforschungsinstitut Kantar (2021)). Diese neue Offenheit kombiniert mit dem Fakt des Rekordbestands an Pkw (in Deutschland zum 31.12.2020 = 48,25 Millionen) sowie den mittlerweile stark steigenden Zulassungszahlen der ganz oder teilweise elektrifizierten Fahrzeuge (in 2020 in Deutschland + 30% = 395.000) bietet viele Chancen und macht darüber hinaus auch deutlich, dass der „Service“ in der Begrifflichkeit MaaS noch nicht ausreichend transportiert wurde. Alle Zahlen und Fakten belegen, dass nur die sinnvolle Kombination der Mobilitätsangebote die verkehrlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der Verkehrswende lösen wird.
Hierbei sind wir alle gefragt, diese benötigte „Einfachheit“ sicherzustellen. Solange der eigene Besitz auch unter Abwägung aller Aspekte der einfachste Zugang zur Mobilität bleibt, werden es kombinierte und oftmals unsubventionierte Angebote trotz neuer und veränderter Kundenbedürfnisse schwer haben. Unter „alle“ verstehe ich das sinnvolle Zusammenspiel aus Angebot (Mobilitätsdienstleistern), Rahmen (Politik) und Nachfrage (Kunden*innen).
„Einfachheit“: Eine Frage des Standorts und der Kosten
In Deutschland und Österreich leben nur ca. 32% der Bevölkerung in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern, in der Schweiz sogar nur 14%. Gerade den suburbanen und ländlichen Raum dürfen wir bei der Mobilitätswende nicht vergessen, denn hier wird es teuer und „Einfachheit“ ist anders definiert: Wahrscheinlich primär nicht im digitalen Zugang bzw. der „Super-App“, sondern in Verfügbarkeit und Preis. Meines Erachtens darf uns MaaS als Gesellschaft Geld kosten, Mobilität ist seit Jahrhunderten nicht kostenfrei und wird auch in Zukunft und aller Digitalisierung zum Trotz der Schmierstoff des volkswirtschaftlichen Wohlstands bleiben. Die Frage bleibt allerdings bestehen, wie ernst wir es mit der „Einfachheit“ meinen und wie wir die aktuellen Entwicklungen als Beschleuniger und Chance für die Verkehrswende nutzen können.
Das Fahrrad als Positivbeispiel
Nehmen wir das Beispiel „Fahrrad“: Die individuelle Mobilität mit dem Fahrrad (oder auch zu Fuß) hat sich in den letzten 12 Monaten wie wir wissen teilweise verdreifacht, Wegstrecken unter 20km werden vermehrt auf zwei Rädern zurückgelegt. Das Patent des E-Bikes ist zwar bereits 100 Jahre alt, die Renaissance des Fahrrads wurde allerdings durch smartere Stadtgestaltungen, die Elektrifizierung, die Nachhaltigkeits- und Gesundheitsdebatten sowie kombinierte und teilweise arbeitgebergeförderte Mobilitätsangebote regelrecht befeuert. Also effektiv aus dem Zusammenspiel aller „Spieler des Systems“, dieses Beispiel können wir als Blaupause auch für ein umfassenderes MaaS-Angebot nutzen. Der Fahrradbesitz führt nämlich nachweislich zu verstärkter Multimodalität, einer veränderten Autonutzung, mehr öffentlichem Verkehr und schlussendlich zu einem „(ver)einfach(t)en“ Zugang zur Mobilität.
Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, das Beispiel „Fahrrad“ als Analogie auch für weitere, kombinierte Mobilitätslösungen zu nutzen, um so durch mehr „Einfachheit“ einen maßgeblichen positiven Einfluss auf die Verkehrswende zu nehmen.
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Über den Autor:
Björn Bender ist Co-Founder des Mobility Allstars e.V. und President & CEO des globalen Travel-Tech Unternehmens Rail Europe mit Hauptsitz in Paris, beschäftigt sich seit 20 Jahren mit ständig sich verändernden Kundenbedürfnissen in der Mobilität. Seine weitreichenden Branchenkenntnisse reichen von Aviation über Bahn bis hin zu New Mobility sowie Innovation und Tech. Björn ist davon überzeugt, dass die Mobilitätswende nur gemeinsam gedacht sowie ganzheitlich und einfach umgesetzt gelingen wird!