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Carsharing quo vadis: Warum Carsharing-Anbieter gerade jetzt einen langen Atem brauchen?

18.08.2022

Carsharing wird im privaten wie auch beruflichen Mobilitätsmix der Zukunft meist als eines der drei relevantesten Produkte genannt. Die Zeiten, in denen Carsharing in den Diskussionen vermehrt kritisch mit „Premium ÖV“ assoziiert wurde sind glücklicherweise bereits einige Jahre vorbei. Heute belegen unterschiedlichste Studien, dass kommerziell oder privat geteilte Fahrzeuge vor allem in Ballungsräumen, Speckgürteln und ländlichen Gebieten einen essenziellen Beitrag zu einem Leben ohne selbst besessenem Fahrzeug leisten können. Dennoch gibt es immer weniger Anbieter, die Preise steigen für Betreiber*innen und Kunden*innen und die Gesetzeslage hat in den europäischen Märkten noch nicht zur erhofften Vereinfachung geführt. Steigende Kraftstoff- und Stromkosten sowie Beschaffungsprobleme trüben den Ausblick. Bei Mobility Allstars e.V. sind wir der Meinung, dass die Rahmenbedingungen für Carsharing weiter verbessert werden müssen, um die prognostiziert positiven gesellschaftlichen Effekte in den kommenden Jahren wirklich abschöpfen zu können.

Um es gleich vorwegzunehmen, ich bin absoluter Carsharing-Fan sowie „Heavy-User“ und deshalb sicherlich voreingenommen. Die Entwicklungen der letzten Jahre bereiten mir und uns als Mobility Allstars e.V. allerdings Sorge, obwohl die Produkte immer digitaler, vernetzter und elektrifizierter wurden. Der Wettbewerb schwindet, der Gewinndruck für die allermeisten Unternehmen steigt und die erhöhten Kosten für die Nutzerinnen und Nutzer erschweren die Kaufentscheidung. Durchaus nachvollziehbar, hat doch keines der Unternehmen, die in den vergangenen Jahren Fahrzeuge im „Free Floating“ angeboten haben, Geld verdient. Der konzernunabhängige Anbieter MILES Mobility bleibt hier die einzige Ausnahme. Weder zu den Anfängen Car2go und DriveNow, noch die heutigen Anbieter SHARE NOW und WeShare. Selbst für SIXT, die alle Formen von „Auto auf Zeit“ anbieten ist Carsharing eher ein Zuschussgeschäft, obwohl Fahrzeuge in den Produkten Carsharing, Mietwagen und Auto-Abo relativ nahtlos ein- und ausgesteuert werden können, was deutliche Kostenvorteile mit sich bringt.

Um es positiv zu formulieren, das wirtschaftliche Umfeld für Carsharing hat sich in den vergangenen Jahren nicht verbessert. Dies zeigt auch die strategisch finanzielle Entscheidung von BMW und Daimler, die gemeinsame Tochter ShareNow an die französische Stellantis Gruppe zu veräußern, welche das Carsharing-Geschäft nun mit Free2Move zu einem europäisch-amerikanischen Anbieter verschmelzen möchte. Auch die VW-Tochter Greenwheels hat kürzlich bekannt gegeben, sich aus dem deutschen Markt zurückzuziehen. Als Alternative verweist Greenwheels auf WeShare, das ebenfalls Teil des Volkswagen-Konzerns ist. WeShare plant zwar einen Angebotsausbau, ist heute aber nur in Hamburg und Berlin aktiv. Somit fällt das vornehmlich suburbane Greenwheels-Angebot erstmal weg, welches vor allem bei Familien beliebt war und zum Verzicht eines eigenen Familienfahrzeugs beigetragen hat. Somit teilen sich, neben immer weniger werdenden lokalen und regionalen Anbietern und mit steigenden Endkundenpreisen, Stellantis, SIXT und MILES den deutschen Markt mehr oder weniger auf.

Mobility Allstars e.V. ist der Meinung, dass sich die stagnierende Angebotssituation und die steigenden Preise ohne Wettbewerb und verbesserte Rahmenbedingungen nicht verändern werden. Die Spritpreise werden mindestens mittelfristig, mit und ohne Tankprämie, auf einem hohen Niveau verbleiben, die Strom- und Gaspreise wahrscheinlich in den nächsten 24 Monaten sogar weiter stark ansteigen. Ohne staatliche Subventionen im Sinne einer ganzheitlichen Mobilität (vergleichbar mit dem öffentlichen Verkehr) und einer Bevorzugung bei Herstellerrabatten, Parkflächen und steuerlichen Abrechnungsprozessen wird dies einerseits attraktive, internationale Anbieter vom europäischen Markteintritt abhalten sowie Gründungen verhindern und andererseits den Umstieg der mittlerweile wechselwilligen und immer größer werdenden Zielgruppe verhindern.

Die aktuelle Situation und die genannten Beispiele zeigen, dass wir als Gesellschaft die Vorteile des Carsharings zur Beschleunigung der Mobilitätswende zu wenig nutzen. In den vergangenen 30 Jahren hat lange die affine und massentaugliche Zielgruppe gefehlt, heute sind wir aufgrund der Klimaproblematik, der verinnerlichten Sharing-Ökonomie und der etablierten Digitalisierung maximal sensibilisiert, bereit und prädestiniert dieses Produkt quer durch die Gesellschaft anzunehmen. Doch hinken die Rahmenbedingungen weiterhin hinterher und die Gefahr ist groß, dass die aktuelle weltpolitische Lage diesem Angebot weitere Hürden auferlegt.

Carsharing  muss als echte first/last mile Alternative anerkannt werden und darüber hinaus einen attraktiven Ersatz für ein selbst besessenes Fahrzeug schaffen. Dies wird flächendeckend und marktübergreifend nur mit finanzieller Unterstützung gelingen, welches eine Umverteilung vorhandener Mobilitätssubventionen nach sich ziehen würde. Die viel diskutierte Übergangszeit zum vollautonomen Fahren darf nicht ungenutzt bleiben, denn Carsharing ist speziell in dieser Zeit und sicherlich auch darüber hinaus ein starkes Vehikel, um unser Mobilitätsverhalten positiv zu verändern und die gesellschaftlichen Ziele zu erreichen.

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Über den Autor:
Björn Bender ist Co-Founder des Mobility Allstars e.V. und President & CEO des globalen Travel-Tech Unternehmens Rail Europe mit Hauptsitz in Paris, beschäftigt sich seit 20 Jahren mit ständig sich verändernden Kundenbedürfnissen in der Mobilität. Seine weitreichenden Branchenkenntnisse reichen von Aviation über Bahn bis hin zu New Mobility sowie Innovation und Tech. Björn ist davon überzeugt, dass die Mobilitätswende nur gemeinsam gedacht sowie ganzheitlich und einfach umgesetzt gelingen wird!

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