Die neue Bundesregierung ist im Amt – welche Impulse für die Mobilitätswende dürfen wir erwarten?

10.01.2022

Die neue Bundesregierung wurde vor nunmehr einem Monat vereidigt und mit ihr der neue Minister für Digitales und Verkehr, Volker Wissing. Die erste Überraschung war für viele bereits die Ernennung einer FDP-Person für dieses Ministeramt, war doch lange vor allem aufgrund der Relevanz für unser Klima über ein grünes Ministerium spekuliert worden. Volker Wissing wird zitiert mit einem Selbstverständnis, das ihn als „Anwalt aller, die ein Mobilitätsangebot brauchen“ beschreibt. Er hält dabei ein Einbeziehen aller Verkehrsangebote für notwendig. Dieses Grundverständnis begrüßen wir außerordentlich, passt es doch genau zu unserem Claim „besser.kraftvoll.kombiniert“ und unserer damit ausgedrückten Überzeugung, dass die optimale Mobilität der Zukunft divers sein wird und jedes Verkehrsangebot seine situative Relevanz und Berechtigung besitzt. Doch was steht dazu im Koalitionsvertrag und welche Impulse für die Mobilitätswende dürfen wir uns daraus abgeleitet in dieser Legislaturperiode erwarten?

Transformationsanker ist der Klimaschutz

Zurecht wird im neuen Koalitionsvertrag der Abschnitt zu Mobilität eingeleitet mit: „Wir wollen die 2020er Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen […] Die erforderlichen Entscheidungen zur Erreichung unserer Klimaschutzziele für 2030 und 2045 mit dem Ziel der Dekarbonisierung des Mobilitätsbereiches werden wir treffen und die praktische Umsetzung deutlich beschleunigen.“ Damit liegt der Fokus im Wesentlichen auf den durch den Verkehr verursachten Emissionen von Stickstoffoxiden – 2019 verursachte der Verkehr fast 43 % der in Deutschland emittierten Stickstoffoxide. Indirekt ist damit auch die Reduktion des in den letzten Jahren stetig steigenden Primärenergieverbrauchs des Verkehrssektors in Deutschland im Fokus. Mit rund 3.673 Petajoule – von denen 67 % auf den Personenverkehr entfallen – ist Verkehr aktuell für etwas mehr als ein Viertel des gesamten Primärenergieverbrauchs in Deutschland verantwortlich.1

Finanzierung der Mobilitätswende

Mobilität wird aufgrund ihrer Relevanz für gleichwertige Lebensverhältnisse und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Logistikstandorts Deutschland als zentrales Element der Daseinsvorsorge durch den Staat definiert. Damit ist zu erwarten, dass die neue Bundesregierung die Verantwortung zur Schaffung von Grundlagen für die Mobilitätswende inklusive der erforderlichen Finanzierung bei sich sieht. Damit entsteht unmittelbar der Bedarf, die Finanzierungsanteile zwischen Bund, Ländern und Kommunen langfristig in einem sogenannten „Ausbau- und Modernisierungspakt“ neu zu regeln. Die einhergehende Festlegung von Zielbildern kann – eine entscheidungsfreudige und -schnelle Bundespolitik vorausgesetzt – ein Erfolgsrezept werden. Da passt es hoffentlich, dass der Spiegel in einer Ausgabe zum Jahresende 2021 Volker Wissing als entscheidungsschnell beschrieben hat.2

Inhaltliche Konkretisierung erforderlich

Natürlich umreißt ein Koalitionsvertrag zunächst die grundsätzliche politische Linie. Eine Ausgestaltung im Sinne konkreter Gesetze und Initiativen muss die Umsetzbarkeit dieser Linie beweisen, jedoch lassen vor allem die angekündigte Re-Priorisierung von Investitionen zwischen Straße und Schiene sowie die stärkeren intermodalen Verknüpfungen und die Förderung barrierefreier Mobilitätsstationen hoffen, dass die Alternativen zum motorisierten Individualverkehr an Attraktivität für die Nutzenden gewinnen. Konkret wird von „Vorfahrt für die Schiene“ gesprochen – dafür will die neue Bundesregierung „wesentlich mehr in die Schiene als in die Straße investieren.“ Während bei Fernstraßen der Fokus auf Erhalt und Sanierung liegen wird, soll der Schienenverkehr mit dem Ziel eines Deutschlandtakts 3 ausgebaut werden. Dabei geht es auch um den Aus- und Neubau zentraler Bahnstrecken wie Hamm-Hannover-Berlin, Hanau-Würzburg/Fulda-Erfurt und Karlsruhe-Basel etc. Um die regionale Anbindung an den Fernverkehr zu verbessern, sollen Länder und Kommunen in die Lage versetzt werden, die Attraktivität und Kapazität des ÖPNV zu verbessern. Dabei ist gezielt die Unterstützung „innovativer Mobilitätslösungen“ und speziell von Carsharing-Angeboten vorgesehen. Ob es dabei um eine Reform des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) oder möglicherweise sogar um die Möglichkeit zur Umwidmung (steigender) Regionalisierungsmittel zur Finanzierung geht, bleibt offen. Beschrieben ist allerdings, dass der Fahrrad- und Fußverkehr ebenfalls in die Überlegungen einbezogen werden soll.

Steigende Relevanz digitaler Angebote

Auch die Notwendigkeit digitaler Angebote als Bestandteil echter Alternativen zum motorisierten Individualverkehr wird im Koalitionsvertrag adressiert. Mit der Verabschiedung eines Mobilitätsdatengesetzes sollen vor allem echtzeitbezogene Verkehrsdaten aller Mobilitätsunternehmen „unter fairen Bedingungen“ frei zugänglich werden. Das wäre der erste Schritt in Richtung einer intermodalen und anbieterübergreifenden Information, Buchung und Bezahlung von Mobilitätsleistungen. Interessant wird hier sicherlich die Diskussion mit den existierenden Unternehmen sein, inwiefern eine vertriebliche Konkurrenz gescheut wird und wie der Sorge vor dem Verlust der Kundenschnittstelle begegnet werden kann.

Apropos Verlust – was ist mit der Automobil- und Luftfahrtindustrie?

Natürlich befasst sich der Koalitionsvertrag auch mit der drängenden Frage einer Transformation der Automobil- und Luftfahrtindustrie. Die Automobilindustrie war 2019 mit einem Umsatz von gut 436 Milliarden Euro und knapp 833.000 direkt Beschäftigten weiterhin der bedeutendste Industriezweig in Deutschland.4 Elektromobilität wird hier weiterhin als wesentliches Element der Transformation gesehen. So sollen bis 2030 mindestens 15 Millionen Elektro-Pkw in Deutschland zugelassen sein. Um die anspruchsvolle Transformation zu unterstützen, wird unter dem Titel „Transformation Automobilwirtschaft“ eine Strategieplattform initiiert, in der zwischen Mobilitätswirtschaft, Umwelt- und Verkehrsverbänden, Sozialpartnern, Wissenschaft, Bundestag, den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden sowie den zuständigen Bundesressorts die Transformation konkretisiert wird. Ganz so massiv fällt der Abstimmungsaufwand zum Luftverkehr nicht ins Auge. Hier wird von der neuen Bundesregierung vor allem die Nutzung der Luftverkehrssteuer für die Förderung CO2-neutraler, strombasierter Flugkraftstoffe sowie die Forschung, Entwicklung und Flottenmodernisierung im Luftverkehr angestrebt. Zugleich wird die oben beschriebene Verbesserung der Bahnverbindungen die Notwendigkeit insbesondere für innerdeutsche Kurzstreckenflüge reduzieren.

Wir finden: Ein guter Aufschlag mit Potenzial

Passend zu unserer Position als Mobility Allstars e.V. ist der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung nicht mit Verboten gepflastert, sondern chancenorientiert und unter Würdigung der individuellen Vorteile der diversen Mobilitätsangebote aufgesetzt. Das macht Hoffnung auf zukunftsweisende Zielbilder, Initiativen und sichtbare Erlebnisse für uns alle als Mobilitätskunden*innen. Verständlicherweise stehen im Koalitionsvertrag im Wesentlichen Absichtserklärungen auf entsprechender Flughöhe. Relevante Aspekte wie beispielsweise die Flächennutzung, die in der Mobilität mit den einhergehenden Auswirkungen auf die Umwelt ebenfalls ein Kriterium der Mobilitätswende ist, werden unserer Meinung nach nicht ausreichend adressiert. Zusammenfassend können uns die gefundenen Kompromisse der drei Koalitionspartner jedoch hoffnungsfroh stimmen. Wir wünschen Volker Wissing sowie seinem gesamten Team und uns als Mobilitätsindustrie viel Erfolg bei der Konkretisierung und Umsetzung des Koalitionsvertrags und allen Beteiligten den notwendigen Mut, jetzt mit schnellen und konkreten Entscheidungen die Mobilitätswende erlebbar auszugestalten.

______________

Mobility Allstars e.V. bringt all diejenigen zusammen, die die Mobilitätswende in der D-A-CH-Region gestalten wollen – von Privatpersonen über Unternehmen bis zu Politik und Wissenschaft. Denn alle Verkehrsträger sind Stars. Gemeinsam geben wir der Mobilitätswende neuen Schwung! Als Mobilitätsgestalter*in kannst auch du bei uns Mitglied werden.

______________

Fußnoten:

1. Umweltbelastungen durch Verkehr | Umweltbundesamt

2. Der Spiegel, 30.12.2021

3. Zielbild eines bundesweiten, aufeinander abgestimmten Schienenpersonenfernverkehrs und -nahverkehrs mit Halbstundentakt auf den wichtigsten Verbindungen im Fernverkehr

More Posts

Lastenrad-Sharing: Chance für die urbane Mobilität?

Lastenrad-Sharing: Chance für die urbane Mobilität?

Lastenräder und eLastenräder erfreuen sich einer steigenden Nachfrage. Sie sind eine belastbare Alternative zum eigenen Auto und liegen voll im Trend. Lastenräder transportieren Familien, Hunde und große Einkäufe. Ist die Zeit reif für ein kommerzielles Lastenrad-Sharing, insbesondere in großen Städten?

„Nachhaltigkeit ist für uns kein Wort aus den 2000ern“ – Interview mit Kerstin Hurek vom ACE

„Nachhaltigkeit ist für uns kein Wort aus den 2000ern“ – Interview mit Kerstin Hurek vom ACE

„Der Klimawandel geht uns alle an, ebenso die damit verbundenen Verpflichtungen, Emissionen zu reduzieren“, sagt Kerstin Hurek, Leiterin der Abteilung Verkehrspolitik beim ACE Autoclub Europa e.V., dem zweitgrößten Autoclub Deutschlands. Welche konkreten Beispiele sie dazu anführt und warum sie sich darüber hinaus bei Mobility Allstars e.V. engagiert, erfahrt ihr hier.

Die Mobilitätswende – nur Gerede oder schon gelebte Praxis?

Die Mobilitätswende – nur Gerede oder schon gelebte Praxis?

In Kooperation mit dem Travel Industry Club haben wir unser zweites gemeinsames Networking-Event veranstaltet, diesmal in Hamburg. Zum Thema „Die Mobilitätswende – nur Gerede oder schon gelebte Praxis?“ haben wir mit Mobilitätsexpert*innen diskutiert, wie die Mobilitätswende aus Sicht von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft tatsächlich vorangeht.